Illustration: Neuroflash
SPOILER: Ich hatte in dieser Nacht Sex mit einem Engel. Klingt komisch? War aber so.
Es geschah in der Nacht von Freitag auf Samstag. Der Vollmond klebte wie ein goldbrauner Gouda am Himmel, dessen leuchtende, aber zernarbte Visage mitleidig auf die Erde herabblickte.
Eigentlich sind erotische Träume für solch einen versauten Lumpi meiner Art gar keine Seltenheit. Vielleicht bin ich irgendwo in der Pubertät steckengeblieben oder es mag schlicht und ergreifend daran liegen, dass ich seit gut zwei Jahren so untervögelt bin wie eine katholische Nonne kurz vor ihrem Ableben.
Und die vereinzelten sexuellen Handlungen, die ich in dieser Zeit genießen durfte, glichen lediglich einem mickrigen Spermatropfen auf einem heißen Schwein. Sprich, sie fanden überwiegend mit mir selbst statt. Wenn du diese misslungene Abwandlung einer volkstümlichen Redewendung komisch findest, dann pass gut auf, wie komisch erst dieser Traumbericht wird.
Eins vorweg: Von Geistern, Hexen, Engeln, Dämonen und sonstigen übernatürlichen Fabelwesen hab ich noch nie etwas gehalten – Ganz egal, was mir die Kirche, Esoteriker oder andere geistig verwirrte Spinner seit jeher eintrichtern wollten.
Ja, als bekennender Atheist hatte ich mich vom Glauben abgewandt. Gott? Das war für mich nur eine Märchenfigur, etwas für naive Schäfchen mangelnden Verstandes. Ich hingegen war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Gott ist tot, sagte ich mir. Er MUSS tot sein, wenn man sich die Welt mal anschaut. Und wer nicht existiert, dem könne man auch getrost den Rücken kehren.
Mein persönliches Seelenheil zauberte ich durch das regelmäßige Beschwören eines irdischen Flaschengeistes herbei: Dem Geist der Spirituosen und ich glaubte, das könnte auch ewig so weitergehen, na ja, zumindest so lange, wie meine Organe noch mitspielen würden.
Doch dann geschah es. In dieser einen Nacht, in diesem einen Traum, der alles für immer verändert hat.
Ein extrem heißer und mal wieder äußerst frustrierender Arbeitstag ging zu Ende. Doch zum Glück stand das langersehnte Wochenende vor der Tür und ich überlegte, was ich mit meiner kostbaren freien Zeit so anstellen sollte. An Schlaf war noch nicht zu denken.
Beim Blick auf meinen aktuellen Kontostand jedoch, hätte ich mal wieder mit dem Kopf gegen die Wand rennen können. Nun galt es Prioritäten zu setzen, die Qual der Wahl stand mir bevor: Entweder meine letzten Groschen in ein unausgewogenes Fertiggericht vom Aldi zu investieren (das mich sowieso hungrig zurückgelassen hätte) oder sich den Magen mit reichlich Alkohol vollzuschlagen und zugleich ein wenig den Frust zu mildern. Ich entschied mich für Letzteres.
Wie üblich funktionierte das Ausknipsen der Lichter mittels Bier und Schnaps ganz hervorragend, sodass ich gegen 2 Uhr nachts dann endlich auf allen Vieren in mein Schlafzimmer kroch, hackedicht auf die durchgelegene Matratze plumpste und sofort in einen komatösen Schlafzustand verfiel.
Doch dann geschah etwas äußerst Seltsames. Ich begann urplötzlich zu schweben und hatte das Gefühl, mein Geist würde sich von meinem Körper lösen. Tranceartige Rauschzustände hatte ich nach diversen Saufereien zwar schon öfter erlebt, aber dieses Mal war es ganz anders.
Im nächsten Moment fand ich meine schwerelose Existenz in einem tiefschwarzen Nichts wieder. Nur eine leise, wunderschöne Melodie summte aus der Ferne, die mir irgendwie bekannt vorkam. Ich hörte näher hin und allmählich verstand ich die gesungenen Worte:
„Take your time, Hurry up, Choice is yours Don’t be late…”
„Hey!“, rief ich der Stimme zu. „Nirvana zu covern, grenzt an Blasphemie!“ – Doch die Stimme ignorierte mich und summte unaufhörlich weiter und wurde dabei immer lauter und eindringlicher. Scheinbar nur um mich zu ärgern.
Wie aus dem Nichts (und ich war ja im „Nichts“) erschien vor meinen Augen plötzlich ein gelbgrünlicher Lichtpunkt, der sich urknallartig ausbreitete und in Lichtgeschwindigkeit auf mich zuraste. Ein Komet? Ein Feuerball? Ich wusste es nicht. Ein unbehagliches Gefühl überkam meinen Geist. Scheiße, verdammt! Das wird doch nicht, oder...? Sterbe ich gerade wirklich? Was passiert hier?
Die strahlende Lichtquelle wurde immer heller und greller und als sie mit mir kollidierte, erhellte sich das schwarze Nichts schlagartig in ein strahlendes Weiß, als hätte jemand soeben den Schalter eines Flutlichts betätigt.
Ich hielt meine beiden nichtexistenten Hände vor mein nichtexistentes Gesicht und kniff meine nichtexistenten Augen zusammen. Doch die Angst, die mich eben noch durchfuhr, schlug im Bruchteil einer Sekunde um in eine wohlige Wärme.
Und dann hörte ich sie wieder, diese summende, wunderschöne Stimme, deren diffuser Klang immer klarer und deutlicher wurde und da bemerkte ich, dass es sich um eine zarte, höchstliebliche Frauenstimme handelte. Und als sie endlich aufhörte Nirvana zu covern (danke) flüsterte sie mir leise zu: „Alec… hab keine Angst! Ich bin bei dir!“
„Was, wer?“, rief ich ins strahlendweiße Nichts.
„Ich bin es, Alec… Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich sehr wohl…“, schallte es zurück. (Gottverdammt, warum behaupten das immer alle?)
Und da formierte sich vor meinen nichtexistenten Augen ein schemenhaftes Gebilde, das immer näher auf mich zukam und allmählich eine stromlinienförmige Silhouette annahm, die der einer Gitarre glich. Doch war es viel schöner als ein bloßes Saiteninstrument.
Es war eine junge Frau mit prachtvollen Flügeln. Und sie war splitterfasernackt, so wie Gott sie schuf. (Ob das ihr Vater war?) – Was noch viel prachtvoller war.
Mit nichtexistenter heruntergelassener Kinnlade bestaunte den Anblick dieses göttlichen Wesens, wie es auf einmal majestätisch vor meiner Linse schwebte. Ihr geschmeidiger Körper war einfach hinreißend, und ihre langen schweifenden Haare verdeckten nur spärlich ihre drallen, wohlgeformten Brüste, die exakt die Größe meiner nichtexistenten Hände besaßen.
Ihre Augen funkelten wir Sterne, ihre graziösen Beine schienen schier endlos zu sein und ihr Antlitz war wahrlich ein Bild für die Götter. Noch nie zuvor hatte ich etwas so Schönes gesehen. Spätestens jetzt wurde mir klar, dass ich ganz sicher tot sein musste und irgendwie konnte ich mich mit diesem Gedanken ganz gut anfreunden.
Wie ein schüchternes Kind fragte ich ganz ehrfürchtig: „Wer… wer oder was bist du?“
„Ich bin dein Schutzengel, Alec…“, sprach sie mir behutsam zu.
„Was, wie bitte? Bin ich etwa tot? Ist das das Jenseits?“, wimmerte ich um rasche Aufklärung.
„Nein! Du bist nicht tot, Alec… also… zumindest NOCH nicht! Ich habe dich zu mir geholt, weil ich mit dir reden muss.“
Jetzt war ich baff. Hatte ich gerade tatsächlich die Hotline zum Jenseits erwischt? Beim letzten Versuch war es besetzt.
„Hör zu, Alec… Ich beobachte schon seit geraumer Zeit, wie du dich mit deiner Trinkerei zunehmend selbst zerstörst und damit nicht nur dir Leid zufügst, sondern auch allen Menschen um dich herum, die dich lieben. Und ich kann es nicht länger mitansehen.“
„Mich lieben? Mich liebt doch niemand wirklich…“, seufzte ich.
„Doch, Alec! Du hast nur verlernt, die Liebe anzunehmen, weil du so oft verletzt und enttäuscht wurdest. Deswegen hast du versucht deinen Kummer in Alkohol zu ertränken und dir einen Dämon herangezogen. Ein finsterer Dämon, der dafür sorgen will, dass du in wenigen Wochen an Nierenversagen sterben wirst…“
Mir stockte der Atem. Das alles konnte nicht wahr sein, schließlich war es doch nur ein Traum. Krampfhaft versuchte ich mit aller Kraft zu erwachen, doch es gelang mir wortwörtlich ums Verrecken nicht.
„Du kommst hier nicht so leicht weg, Alec…“, sprach die wunderschöne Engelsfrau und tadelte mein Vorhaben, als sei sie meine Mutter.
„Gut, okay… Was muss ich tun?“
„Du musst aufhören, Alec… Du musst sofort damit aufhören.“
„Okay, okay! Ist ja gut! Ich hör schon auf…“
„Nein, Alec… ein bloßes Versprechen reicht leider nicht. Du musst es mir beweisen!“
„Ja… Und wie soll das gehen?“
„Indem du mit mir schläfst!“, kicherte sie leicht mädchenhaft.
„WAS ZUM HENKER? Ich soll SEX mit dir haben?“
„Da wo ich herkomme, tun wir es die ganze Zeit!“, schmunzelte sie und wirkte nun selbst ein bisschen verlegen.
Jetzt fiel ich im wahrsten Sinne aus allen Wolken. Da steht also mein wunderschöner Schutzengel splitterfasernackt vor mir und will mit mir schlafen? What the…?
„Meinst du das ernst? Ist das hier der Himmel? Gott existiert wirklich? Die religiösen Spinner hatten also recht?“ – So viele Fragen schossen gleichzeitig durch meinen nichtexistenten Schädel.
„Nein, Alec… was ihr Erdlinge als Gott oder Himmel bezeichnet, ist in Wirklichkeit ganz anders und noch viel komplexer als ihr es euch je vorstellen könntet. Keiner eurer dämlichen Glaubensvereine hatte je recht.“
„Puh, da bin ich ja beruhigt! Weißt du, bei mir klingeln nämlich ständig diese blöden Zeugen und das nervt tierisch…“, faselte ich eifrig daher.
Sie unterbrach meinen Redeschwall, schnipste mit den Fingern und projizierte plötzlich eine holographische Darstellung ins weiße Nichts, die einem dreidimensionalem HD-Fernseher glich. Und da ereilte mich der Schock meines Lebens und Sterbens.
„Na, erkennst du ihn?“
Ja, ich erkannte ihn sofort. Es war der ehemalige Freund meiner Mutter, der selbst an einem Alkoholproblem litt, noch dazu spielsüchtig war und sich vor wenigen Jahren das Leben nahm. Ich sah die lodernden Flammen und die Höllenqual um ihn herum, wie finstere Monster ihn auspeitschten und folterten.
„Willst du wirklich auch so enden, Alec?“, fragte mich die Engelsfrau, erneut in diesem ermahnenden, mütterlichen Unterton.
Fassungslos stammelte ich: „Um Gotteswillen, ist… ist das echt?“
„Quatsch, du naiver Trottel! Ich hab dich bloß verarscht! Es geht ihm gut. Er ist jetzt einer von uns. Ich hab dir doch gesagt, in Wirklichkeit läuft alles ganz anders. Hast du mir nicht zugehört?“
Puh! Tierisch erleichtert atmete ich aus. Ich muss schon zugeben, die Frau hat’s in sich! Da nutzt sie nicht nur mein Vokabular, sondern besitzt auch noch meinen Humor! Für wahr eine Traumfrau – Aber auch kein Wunder, sie war ja schließlich MEIN Schutzengel.
„So, Alec… genug geredet? Lass uns endlich mit der Zeremonie beginnen und dich von deinem Dämon befreien… Komm näher zu mir“, gestikulierte sie mit einer Handbewegung. Plötzlich war auch ich komplett nackt und ehe ich mich versah, presste sie schon ihren wunderschönen Engelskörper an meinen und ihre zartweichen Lippen verpassten mir einen derart himmlischen Kuss, so wie ich noch nie geküsst wurde.
Gedankenverloren umfasste ich ihre schlanke Taille, ließ ihre und meine Zunge schlängelnd tanzen und spürte diese unsagbar schöne Wärme. Langsam kehrte mein Körperbewusstsein zurück und ich bemerkte, wie mein bestes Stück zunehmend anschwoll, welches im Traum noch viel größer aussah als in Wirklichkeit. (War ja klar…)
Prompt ergriffen ihre zärtlichen Hände mein pralles Liebeszepter, welches sie langsam und geschmeidig durch ihre feuchte Himmelspforte gleiten ließ.
Halleluja! Eine Explosion unglaublicher Liebesgefühle schoss durch meine Venen. Voller Ekstase und grenzenloser Sinnlichkeit liebkosten wir uns, gefühlt über Stunden und verschmolzen gemeinsam auf Wolke 7. Es war der beste Traum und mit Abstand der beste Sex meines Lebens.
Nachdem sie mich auf diese ungewöhnliche Weise „bereinigt“ hatte, gab sie mir zum Abschied noch einen letzten zärtlichen Kuss und flüsterte mir ins Ohr: „Du musst jetzt zurück, Alec… Und denk daran, du hast mir etwas versprochen! Dieses Siegel darfst du nie und nimmer brechen? Hörst du? Niemals!“
Ihre liebliche Stimme verschallte im Nichts und plötzlich schreckte ich schweißgebadet in meinem Bett auf. Ein paar Federn klebten angesogen vom Speichelfluss an meinen Lippen. Das Daunenkissen hatte ein Loch.
Schweratmend und noch immer perplex fragte ich mich, was da soeben geschehen war. Ich konnte es mir absolut nicht erklären und kann es bis jetzt noch nicht.
Ich kann nur versichern, dass ich seit nun fast 72 Stunden keinen Tropfen Alkohol angerührt habe. Und das soll auch so bleiben.
E N D E
© Alec Richard, 2022
Comments