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AutorenbildAlec Richard

DER SCHIEFE KLANG DES MONDLICHTS - (Alec in Wonderland?)


Cover/Artwork: Axel Aldenhoven/AIec Richard


𝐒𝐏𝐎𝐈𝐋𝐄𝐑: Eigentlich wollte ich nur mal eben mit dem Bus ins benachbarte Dorf fahren, um beim HobbygĂ€rtner meines Vertrauens ein paar frische, wohltuende HeilkrĂ€uter fĂŒrs Wochenende einzukaufen - (Ja, genau die!) - FĂŒr ein Kiffchen ins KĂ€ffchen sozusagen. Doch dann kam alles ganz anders.


Und jetzt? Jetzt stehe ich vor einer Ă€ußerst schwierigen Entscheidung! Und ja, es hat wieder mal mit einer Frau zu tun. So helft mir doch! Soll ich mich wirklich auf diesen Scheiß hier einlassen? Wie konnte ich es nur soweit kommen lassen?


Ja, es geht in dieser Geschichte um Substanzen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Von stinknormalem Gras oder Alkohol ist nicht die Rede. Cannabis war nie meine Einstiegsdroge. Zuerst waren da Nippel (an denen ich heute noch hÀnge), dann kam das FlÀschchen (an dem ich heute noch nuckle), spÀter der Kaffee, das Bier, der Wein, der Wodka, der Gin, Tequila, Raki, JÀgermeister, die Massen von Zigaretten und all die anderen kleinen verbotenen Dinge, die ich an dieser Stelle mal besser nicht erwÀhne.


Wenn ich ehrlich sein soll, hab ich mir (fast) so gut wie jeden erdenklichen Scheiß (außer Morphium) reingefahren, den man sich nur vorstellen kann. Na gut, auch kein Heroin oder Crack. Und doch gab es da diese eine Substanz, die ich schon immer bewunderte und allein aufgrund ihres Rufs stets mit ihr liebĂ€ugelte.

Und doch hatte ich den allergrĂ¶ĂŸten Respekt vor ihr. Vielleicht auch, weil ich befĂŒrchtete, dass sie mich auf direktem Wege in die Gummizelle befördern könnte.


Aber fangen wir von vorne an: Es muss irgendwann im Oktober vorvorletzten Jahres gewesen sein, aber ganz sicher war es ein Freitagabend, denn ich hatte endlich meinen wohlverdienten Feierabend. Das weiß ich noch.


Und wie sich das fĂŒr einen perfekten Start ins Wochenende so gehört, hatte ich nur eins im Sinn: Ganz gepflegt den Allerwertesten in den Sessel bohren, bloß nicht zu viel bewegen und sich stattdessen von belanglosen Kram aus der Glotze berieseln lassen, dabei ganz genĂŒsslich an der blubbernden Friedenspfeife saugen. Ein typischer Absacker eben.


Und zur absoluten Krönung (bzw. Dröhnung) des Tages: (das Highlight ĂŒberhaupt) – Sobald der Heißhunger anklopfte, schnell noch ein paar Leckereien via App ordern, gefolgt von einer wilden Fress- und Furzorgie, die allein schon so viel Energie abverlangt hĂ€tte, dass ich völlig vollgefressen und auf allen Vieren in die Schlafhöhle gekrochen wĂ€re. So war der Plan.


Tja, was soll ich euch sagen? Man wird halt Àlter, wenn auch nur bedingt weiser. Aber wer nicht? Vielleicht ist das so mit 37, wenn allmÀhlich der erste Rost von einem abblÀttert. Nix mehr mit »Sturm & Drang«, keine Party, kein Halligalli - Sieh es ein, du verkommener (Möchtegern)-Autor: Die fetten Jahre sind vorbei!


Aber man gewöhnt sich dran, man gewöhnt sich an alles, oder? Auch an die Einsamkeit, diese furchtbar bittere Einsamkeit – Verdammt, zeigt sich da schon ein Hauch von Midlife-Crisis? Und bekomm ich da wirklich einen Bierbauch oder bin ich einfach nur schwanger?


Scheiße, dachte ich. Jedenfalls beobachtete ich, wie ich zunehmend gemĂ€chlicher wurde und mich die Welt um mich herum nur noch selten ĂŒberraschte. Die guten und die schlechten Dinge waren ja eh alle irgendwie schon mal dagewesen, nur auf unterschiedlichste Weise.


Oft glaubt man, man kenne schon so fast jede erdenkliche Scheiße, hat sie selbst in irgendeiner Art erlebt, mitangesehen oder zumindest davon gehört. Es wĂ€re aber nicht das Schicksal, wenn es dich nicht immer wieder eines Besseren belehren wĂŒrde.


Wie gesagt, eigentlich wollte ich doch nur mal eben ins Nachbarkaff dĂŒsen und frische KrĂ€uter organisieren, ja, damals waren die noch verboten. Und so kam es, dass ich mich an besagtem Abend mit einem Kopf voll wirrer Gedanken in einem stickigen Linienbusses auf der Heimfahrt wiederfand, natĂŒrlich ganz hinten, dort, wo angeblich immer die Coolen saßen, doch konnte ich weit und breit niemanden (außer mir) erkennen.


AllmĂ€hlich ging die Sonne unter und streifte golden am Horizont. Ich war mal wieder von allen Geistern (außer den der Spirituosen) verlassen, doch ich gewöhnte mich daran. Man gewöhnt sich ja an alles, irgendwann auch an sich selbst und an die schiefen Blicke der Leute, wie sie stĂ€ndig Abstand hielten, von diesem Kerl in der ranzigen Lederjacke, mit der vergammelten, löchrigen Jeans, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Der Typ mit dem Matrosenrucksack auf'm Buckel und dem Bier im Schlepptau – oder sie gingen einfach meiner gewaltigen Fahne aus dem Weg. Eine fiese Gaswolke der Marke Eigengestank, eine Mischung aus Bahnhofsklo und dreitĂ€gigem Kettenrauchen. Man konnte ihnen die Fahnenflucht kaum verĂŒbeln.


Jedenfalls saß ich da, auf den hinteren RĂ€ngen im Bus, und musste tierisch pissen. Mir war ĂŒbel. Die Maschine wĂŒrgte ab, ich auch, HydrauliktĂŒren zischten, und knarzig öffneten sie ihre Pforten.


Leute stiegen ein, Leute stiegen aus und da umgab mich plötzlich diese kĂŒhle frische Brise, die wie ein schwirrender Geist an mir vorbeizog und sich im hintersten Eck, noch weiter hinter den nicht vorhandenen coolen Leuten (außer mir) versteckte.


Nichtsahnend schielte ich planlos zum Fenster raus und beobachte, wie sich die Sonne allmĂ€hlich von der Dunkelheit auffressen ließ, starrte sinnentleert auf einen verlassenen Spielplatz und hatte doch nichts Böses im Sinn, nur böse Musik (Marilyn Manson) im Ohr, getrieben von der Sehnsucht nach meinem heiligen Pipikackatopf, nach Gras, Fraß und plumper TV-Unterhaltung. Doch dann hörte ich plötzlich den lieblichen Klang einer mir unbekannten Stimme.


»Hey, du da! Cooles B «, schallten die Laute, querstrebend durch den furchtbar engen Bus, ehe sie von den ratternden GerĂ€uschen und den sich wieder in Gang setzenden Motoren verschluckt wurden. Ich raffte mal wieder nichts.


UnbekĂŒmmert schweifte mein Blick umher, hinauf zum Mond, und da fragte ich mich ernsthaft in diesem Moment, wie denn der Mond wohl klingen mag, hĂ€tte er eine Stimme. Nur ahnte ich noch nichts von seinem Genuss, der mich bald erwarten wĂŒrde. Erneut rief die Stimme, nun weniger zaghaft: »Hey! Du! Cooles Beanie!«


Da stumpte mich etwas an. Schreckhaft erwachte ich aus meinem spĂ€ten Tagtraum. Und als ich meinen Kopf zur Seite drehte, erblickten mich schlagartig zwei funkelnd grĂŒne Augen, zwei junge, weibliche, ĂŒberaus hĂŒbsche Klunker, die mich keck anstrahlten und wie elektrisiert zusammenzucken ließen.


Ȁh
 ja? Was willst du?«, fragte ich. (Schon verkackt!)


»Deine MĂŒtze, Bro! Die ist
 irgendwie cool!«, hauchte die zarte Stimme.


»Ist doch ‘n Beanie, oder?« – Sie meinte offenbar meine braune WollmĂŒtze, auf der in fettgedruckten Lettern das Wort »COOL« aufgestickt gewesen war.


Ȁh, ja
 glaub schon!«, murmelte ich vor mich her. »Is‘ bestimmt ‘ne Bohne!«


»Du bist witzig!«, kicherte sie. »Cool, woher?«


»Wer ich?«, fragte ich.


»Nein, du Doofie! Die MĂŒtze! Wo hast du die gekauft?«


Ȁh
 keine Ahnung mehr!«, stammelte ich. »Gab’s beim KIK-Textildiscount so fĂŒr 'n Euro, oder so
 astreine taiwanische Kinderarbeit!«


Prompt verzog sich die Miene der unbekannten Mietze. Etwas anderes hatte ich gar nicht erwartet. (Mensch, ich wollte doch einfach nur nach Hause und pissen!)


Sogleich schÀrfte sich mein Blick und da nahm ich erstmals das komplette Antlitz dieser offenbar noch sehr jungen Dame wahr, von deren Haupt blaugefÀrbte Zottelzöpfe bis zu den Schultern wie Lianen baumelten.


»Crazy Hairstyle!«, bemerkte ich, sie bemerkte mich nicht. Sie glotzte nur blöd aus der WÀsche. Ich tat es ihr gleich.


»Danke!«, sagte sie, so freundlich es ging, und spielte sich indes in den Haaren rum.


Ich schĂ€tzte sie auf Anfang 20, nicht viel Ă€lter. Und bei nĂ€herer Betrachtung störte mich ein wenig ihr rundes, naives Mondgesicht, das sie durch das Tragen einer ĂŒberdimensionalen John-Lennon-Brille offenbar zu kaschieren versuchte.


Doch mir gefielen ihr sĂŒĂŸes StupsnĂ€schen und ihr schrilles, neonfarbiges Make-Up und einfach ihr halbgarer Stil aus Hippie und Avantgarde, der sie trotz ihres Mondgesichts irgendwie interessant erscheinen ließ.


»Sag mal, fÀhrst du eigentlich auch gerade in die Stadt?«, hakte sie nach einigen Minuten des Schweigens neugierig nach.


»Yep.«, sagte ich.


»Und warum?«, fragte sie blöd.


»Muss krass pissen!«, antwortete ich halbtrocken, klemmte mir den Schritt ab und blickte wieder planlos zum Fenster raus. Dann riss sie sich ihre ĂŒbergroßen Mickey-Mouse-Kopfhörer von ihrem verrĂŒckten SchĂ€del und rĂŒckte blitzartig und freudestrahlend noch ein StĂŒckchen nĂ€her zu mir hin, was schon leicht bedrohlich wirkte.


»Wills‘ ma hören? Is‘ mega geil!«, reichte sie mir die Kopfhörer.


»Danke!«, sagte ich. Ich konnte die Musik schon aus den kleinen Lautsprechern dröhnen hören, sie förmlich einatmen, so wie die Duftnote der jungen Lady. Ein Gemisch aus Red Bull, billigem Schwarztabak und Airwaves-Kaugummis. Sie kaute und schmatzte, starrte mich krank von der Seite an. Ich zog eine Fratze, als sie mir widerwillig die Mickey-MĂ€use ĂŒber meine zartbesaiteten, audiophilen Lauscher stĂŒlpte.


Neumodischer Plastik-Auto-Tune-Rap aus der Dose zertrĂŒmmerte mir das Trommelfell. Derweil wippte sie mit ihrem kranken Köpfchen, versuchte blöd zum Takt zu bangen, ich glaube, ich nickte blöd zurĂŒck, doch ich weiß es nicht mehr. Eigentlich hielt ich mich immer fĂŒr ziemlich gut darin, Leute zu vergraulen. Nur in diesem Fall gelang es mir nicht. Dann riss sie mir die Kopfhörer vom Kopf und brĂŒllte mir ins Ohr: »Voll cool, oder? FĂ€hrst du auch in die Stadt?«


»Ja.«


»Cool, ich auch!«, lachte sie mich an. Ihre grĂŒnfunkelnden Augen verrieten, dass dies nichts Gutes heißen konnte. Ein Alec Richard und junge Frauen: Das kann nur in die Hose gehen. (Im wahrsten Sinne!)


Ich schĂŒttelte den Kopf und wandte meinen Blick wieder dem Fenster zu. Die lĂ€ndliche Idylle schnellte wie ein grĂŒnbrauner Wasserfall an meinen hin-und-herzuckenden Augen vorbei. Herrgott, ich musste so dringend pissen, pissen wie ein Stier! Aber irgendwie machte mich auch diese Frau, die aussah wie eine billige Kopie von Billy Eilish, die man durch den Mixer gezogen hatte, schon ein bisschen wuschig.


Der einĂ€ugige Glatzkopf zwischen meinen Beinen klopfte derweil heftig gegen den Reißverschluss, was den Harndrang ein wenig nachlassen ließ.


»Coole Zottelzöpfchen ĂŒbrigens!«, schwappte es aus mir heraus, und auch nur, weil ich sonst nichts Besseres zu sagen wusste und auch ein bisschen das GefĂŒhl hatte, ich sollte zur Abwechslung auch mal etwas Nettes sagen.


»Zottelzöpfe? Bist du ’n Rassist?«, starrte sie mich entsetzt an.


»HĂ€, was? NatĂŒrlich nicht! Und außerdem
 bist du doch gar nicht schwarz!«, nuschelte ich.


»Du
 du BIST ein Rassist!«, fauchte sie und streckte mir drohend den Stinkefinger entgegen. Dann schaltete sie schlagartig um, und widmete sich wieder selbstverliebt ihrem Haarwuchs.


»Das sind ĂŒbrigens Braids!«, holte sie aus und wedelte eifrig eitel ihre Zottelzöpfe wild umher. Dann zuppelte sie mit ihren dĂŒrren Fingern an einer StrĂ€hne und gaffte mich psychotisch an.


»Aha! Kulturelle Aneignung!«, prustete ich mir ins FĂ€ustchen. Da ließ sie ihre Pupillen PurzelbĂ€ume schlagen und schwieg, wandte sich ebenfalls dem Fenster zu, wĂ€hrend ich schon ahnte, es mir ordentlich verkackt zu haben, aber es störte mich nicht. Ich wollte ja eh nur heim. Und pissen.


Doch im nÀchsten Moment tat es mir schon fast wieder leid. Vielleicht war sie auch einfach nur Einsam? Vielleicht brauchte sie gerade wen zum Reden? Ich kannte diese Situation nur zu gut, doch hatte mich, vielleicht aufgrund meines Alters an die Einsamkeit gewöhnt, denn man gewöhnt sich an alles. Ja, ich lernte sie sogar zu lieben. Diese Einsamkeit.


Je einsamer du dir vorkommst, desto schöner ist es, sich ĂŒberhaupt mit irgendwem unterhalten zu können und zu erahnen, dass die andere Person mit hoher Wahrscheinlichkeit noch viel beknackter ist als du. Klingt traurig, aber es erfĂŒllt mich.


Man muss schon sagen: Trotz meines tristen Daseins als chronischer Außenseiter hatte ich sowas wie ’n Freak-Magneten an mir kleben. Ganz ehrlich! Ich zog verrĂŒckte Leute nahezu magisch an (oder sie mich) und meist erwischte ich die Obergestörten, die Durchgedrehten, die Abgefuckten, die Klinikinsassen, Leute mit lockeren Schrauben und mangelnder Tassenausstattung in den KĂŒchenregalen, paranoide schizophrene, völlig geisteskranke Freaks. Und manchmal auch Leute mit gescheiterten Suizidversuchen. Dies verrieten mir die tiefen Furchen ihres linken, spindeldĂŒrren Handgelenks.


»NÀchster Halt: Ludwigsplatz - Endstation! Bitte alle aussteigen!«, schallte es aus den kratzigen Lautsprechern und pustete uns den Schmalz aus den Ohren.

Als die Allerletzten aller Insassen verließen wir den wohlig warmen Bus und stiegen auf den eiskalten Asphalt. Und da erkannte ich erstmals den Ernst der Lage, nĂ€mlich, was die junge Abenteurerin so alles mit sich schleppte:


1. Einen megafetten Wanderrucksack, bespickt mit lauter megabunten Anstecknadeln


2. mehrere megaprallgefĂŒllte »Lidl«-UmhĂ€ngetaschen


3. und ein kleines Skateboard, verziert von mega fancy Totenköpfen auf dem pinkschwarzlackierten Deck, das sie lÀssig unterm Arm mit sich rumschleppte.


»Na, wo soll denn die Reise hingehen, my Lady?«, fragte ich neugierig.


»Nenn mich nicht Lady!«, zischte sie. Schon wieder glaubte ich, es verkackt zu haben.


Es herrschte das mieseste Schietwetter aller Zeiten. Vergesst Hamburg, London oder Amsterdam. In dieser verdammten ehrenlosen Scheißstadt bohrten sich tiefgefrorene Regenstrahlen wie Nadelstiche durch unsere frostigen Fressen.


Wir rannten los. Und schrien. Unter einer kleinen beleuchteten Unterdachung, vor den plakatierten GlastĂŒren einer geschlossenen Reinigung, fanden wir Zuflucht. Der Regen prasselte unentwegt weiter.


Die NĂ€sse von der Stirn weggewischt, war eine lokale Zwangspause angesagt. Es pisste einfach zu heftig, was meine Nudel abschlaffen ließ und den heftigen Harndrang in mir reaktivierte.


»Hast ‘e ma Kippen?«, fragte sie, und blickte mich mit ihren verklatschten HaarstrĂ€hnen im Gesicht sĂŒĂŸlĂ€chelnd an. Mit zittrigen Fingern fischte ich eine Fluppe aus der Packung, reichte sie ihr rĂŒber und zĂŒndete mir selbst eine an.


»Wie heißt du eigentlich?«, wollte ich wissen.


»Mein Geist
 Alec
 hat keinen Namen, weil ich der kosmischen Energie aus Zeit und Raum entspringe!«, erklĂ€rte sie mir eindringlich und fuchtelte dabei wild mit den Armen. Sie klang so, als hĂ€tte sie sich den Text vorher zurechtgelegt und abgespult.


Dieses MĂ€del hatte nicht mehr alle Latten am Zaun, aber genau das machte sie sympathisch. (Vielleicht lag‘s aber auch einfach an ihrem furchtbar witzigen Mondgesicht.)


»Okay, jetzt mal Tacheles. Wie heißt du?«, bohrte ich nach.


»Melody. Melody Moonlight!«, reichte sie mir ihr zierliches HÀndchen, und ich muss ehrlich gestehen, dass ich vor lauter Lachen beinahe Bier auf ihr Dekolleté gespuckt hÀtte.


»Ernsthaft? Melody Moonlight? Das klingt wie ’ne billige Pornodarstellerin!«, pisste ich mich weg, ohne wirklich zu pissen. (Ich glaubte, spĂ€testens nach dieser Aussage wĂ€re ich sie endgĂŒltig los und könnte mich endlich auf den Heimweg zu meinem heimischen Klo machen. Nix da.)


»Vielleicht bin ich das ja auch!«, zwinkerte sie und lĂ€chelte mich fĂŒr eine milliardstel Sekunde verfĂŒhrerisch an. Oder ich bildete mir das ein. Der Harndrang war jedenfalls wieder verschwunden.


»Hi Melody!«, begrĂŒĂŸte ich sie. »Ich bin Alec. Und wie geht’s jetzt weiter?«, fragte ich.


»Ich weiß, dass du Alec bist «, flĂŒsterte sie, zog an der Zigarette und blies den Rauch in den frostigen Nachthimmel. (Woher zum Teufel wissen die das immer?)


»Na, wir könnten doch auch «, meinte ich.


»Zu dir gehen?« - (Verdammt, die Frau kann echt hellsehen!)


»Öhm
 ja?« - (Und wild rumvögeln? Dachte ich.)


»Hast du was da?«, fragte sie, ohne die Miene zu verziehen.


»Was meinst du?« (Kondome? Dachte ich.)


»Na, was wohl?! Deine Duftwolke riecht man zehn Meilen gegen den Wind!« –

(Doch nicht.)


»Du meinst nicht etwa die wohltuenden HeilkrÀuter vom HobbygÀrtner meines Vertrauens?«


»Doch, genau die!«


»Alright!«, sagte ich. »Folgen Sie mir unauffÀllig!«


Szenenwechsel. Nach einem kurzen Abstecher zum Penny, RucksĂ€cken voller Wein, Bier und Whiskey trabten wir per Tram in mein Wohnviertel und kamen nach etwa weiteren 10 Minuten Fußmarsch ziemlich nass und durchfroren (endlich) bei mir an. Ich hatte die Fenster verschlossen, und alles stank noch nach vergammelter Bahnhofskneipe.


»Setz dich ruhig auf meine Casting-Couch!«, bot ich der mir noch relativ unbekannten jungen Dame an, als wir das Wohnzimmer betraten. (Ja, die Couch war tatsÀchlich schwarz.)


»Was?«


»Ach nichts! Nimm einfach Platz! FĂŒhl dich wie zu Hause «


» aber benimm‘ dich nicht so?«, fragte sie, und da sie schaute mich mit ihren riesigen Kulleraugen an. Ich grinste. Irgendwas regte sich in mir. Ein stiller Wunsch nach UnanstĂ€ndigkeit.


»Soll ich uns einen rollen?«, fragte sie und da erkannte sie schon meine FrĂŒhstĂŒcksdose, die unterm Tisch stand, wo ich mein Gras aufbewahrte. Sie hatte den richtigen Riecher.


»Nicht nur das, SĂŒĂŸe!«, rief ich durch den Flur und rannte derweil aufs Klo.


»Nenn‘ mich nicht so! Das ist sexistisch!«, schrie sie mir hinterher.


»Okay, SĂŒĂŸe! Ich geh mal kurz heiß duschen! Bin tierisch durchfrostet!«, rief ich, in der Hoffnung, dass unsere beiden sexy unterkĂŒhlten Astralkörper noch heute Nacht kopulieren wĂŒrden.


Als ich circa zehn Minuten spĂ€ter noch nasstriefend und halbdampfend den schummrigen Raum betrat, nur mit einem Handtuch bekleidet, da leckte sie gerade am Paper, blickte mit ihren glasigen großen Augen zu mir hoch und fragte: »Sag mal, hast‘e was Veganes zu fressen im Haus? Hab tierisch Kohldampf!« (Auch das noch!)


»Tierisch? Also doch was Totes?«, fragte ich blöd.


»Nein, du Doofkopf! Dis‘ sagt man doch so!«, antwortete sie noch blöder.

Planlos stapfte ich in die KĂŒche zum Vorratsschrank, der eigentlich keiner war, weil ich keinen Vorrat hatte.


»Okay
 Also ich hab noch ein paar Kartoffelchips vom

Penny«, rief ich.


»Sind die auch vegan?«, schrie sie.


»Kein Plan, sind die nicht immer vegan?«, rief ich.


»Nein!« - (Wieder was gelernt!) - Ich warf ihr trotzdem die Packung zu, sie ließ sie platzen, wir rauchten, hörten laute schĂ€bige Musik, und wĂ€hrend unserer ganz lebendig gefĂŒhrten GesprĂ€che erfuhr ich immer mehr von ihrer völlig abgedrehten Lebensgeschichte. Sie fĂŒhrte ein Leben im Dauerrauschzustand, und das seit ihrem 13. Lebensjahr. Da hatte sie ihren ersten Joint geraucht.


»Melody«, wie sie sich nannte, hieß in Wirklichkeit Eda und war halbtĂŒrkischer Abstammung. Mutter Deutsch, Vater TĂŒrkisch. (Na so ein Zufall!)


»Ollum, also biss’u auch ‘n Almanack, wallah?!«, gab ich meinen Möchtegern-Ghetto-Asi gekonnt zum Besten.


»Ein
 was?«, fragte sie verdutzt, in angestrengt feinstem Hochdeutsch.


»Almanack!« - »Die Verbindung aus Alman und Kanacke! Sind wir doch, oder?«, zuckte ich bloß mit den Schultern und nippte am Bier, wĂ€hrend sie mich entzĂŒrnt anblickte.


»Junge! Das is‘ voll rassistisch!«, schĂŒttelte sie den Kopf.


»Egal, ich darf das!«, zuckte ich mit den Achseln. Unbehelligt plapperte sie weiter und erzĂ€hlte, dass sie vor ungefĂ€hr zwei Wochen einen heftigen Streit mit ihrem »Baba« hatte, der aufgrund seiner gekrĂ€nkten mĂ€nnlichen (nicht vorhandenen) »Ehre« nicht mit ihrem »linksgrĂŒnversifften Lifestyle« zurechtgekommen sei und sie deswegen kurzerhand auf die Straße gesetzt hatte. Böser Baba.


»So sind sie, die ollen MuselmÀnner!«, kommentierte ich furztrocken.

Erst vor kurzem habe sie ihren Kampf gegen das Patriarchat begonnen, stolzierte sie. Und davon abgesehen, in Freiheit wĂŒrde sie ja »echte Anarchie« genießen und so.


»Und der Rest deiner Familie?«


»Ach, Alec
 Du weißt doch, wie das bei Moslems zugeht!«


Einige Sekunden, gefĂŒhlte Minuten des betretenen Schweigens machten sich breit. Unangenehme Stille. WĂ€hrend mein Schwengel sich zusammenkringelte und mir der Gefrierbrand am Hoden ansetzte, fragte ich stumpfsinnig: »Und nun?« -(Ficken?)


»Und nun? Na ja
 Ich schlag mich irgendwie so durchs Leben, bin mal hier, mal da, weißt du? Ich bin nĂ€mlich KĂŒnstlerin!«


»Ach, ehrlich? ErzĂ€hl!« - (Jetzt kommt’s)


»Ja, man! ÜberlebenskĂŒnstlerin! Und Fotografin
 und Instagram- und TikTok-Model, Schriftstellerin und spirituelles Medium!«, zĂ€hlte sie ihre unzĂ€hligen Begabungen auf. »Und was machst du so?«


»Ich? Ich bin ein Idiot!« - Sie lachte, dabei war das ernst gemeint.


»Schriftstellerin, also
?«, gab ich mich leicht imponiert, damit hatte sie mich angefixt. Ich besitze nĂ€mlich einen ausgeprĂ€gten Fetisch fĂŒr Frauen, die schreiben. Eigentlich hatte ich doch nur mit dem Schreiben angefangen, um all die schĂŒchternen BĂŒcherwurm-Girls rumzubekommen.


Schreiben ist die Vorstufe zu Sex, ich weiß nicht, was besser ist, aber ich schĂ€tze Sex. Ob ihr Kram vielleicht noch abgefuckter war als meiner? – fragte ich mich. Die Stimmung kippte aber spĂ€testens, als sie behauptete: »Ja! Und ich singe auch! Willst’e ma hören?«


»Oh! Du bist ja wahrhaftig ein Multitalent!«, grinste ich. (Verdammt, was hatte ich mir da eingebrockt?)


Kaum hatte sie es ausgesprochen, erklangen schon die ersten jaulenden Töne, asynchron zum schleppenden Handy-Beat, den sie gerade aus ihrer Playlist fischte und dazu zu improvisieren versuchte. Ich rÀusperte lautstark und drehte meine Anlage ganz vorsichtig nur um ein paar Dezibel lauter.


»Echt schön! Kannst'e verdammt jut!«, schrie ich.


»Ich weiß! Thank you!«, quietschte sie gakelig zurĂŒck und nahm wieder ganz theatralische Körperhaltungen dabei ein. Lieber hĂ€tte ich einer brennenden Hexe auf dem Scheiterhaufen beim Schmoren zugesehen, als mir noch eine Sekunde lĂ€nger dieses wehleidige Gejaule in gebrochenem Englisch anzuhören. Dann fing sie wieder an.


»KÀnn ju fiel, hau se muun is sinking, Ànd sinking!«, johlte sie.


»Danke! Das reicht«, kommentierte ich. »Du bist im Recall!«, da lĂ€chelte sie und brachte ihr wahnsinniges Lachen zum GlĂŒck zum Schweigen. Sie sah verwirrt aus. Ich hingegen war es. So musste es sich anhören, wenn der Mond heiter auf die Erde stĂŒrzte. Der schiefe Klang des Mondlichts.


»Ich kann noch viel mehr, Alec! Willst du mal was von mir lesen?«, schnaufte sie förmlich vor nur so strotzender KreativitÀt.


Ȁhm
 okay, nur zu, lass‘ sehen!« (Es konnte ja nur besser werden.)

Prompt sprang sie von der Casting-Couch auf, drĂŒckte den Joint aus, an dem eigentlich noch genug Fleisch fĂŒr uns beide dran war, hĂŒpfte seltsam trĂ€llernd durch den Flur und kramte einen ramponierten, von etlichen Kratzern und Stickern ĂŒbersĂ€ten Mini-Laptop aus ihrem ĂŒbergroßen Sack von Rucksack.


»Schau her, das hier ist mein erstes Buch!«, klappte sie den Rechner auf und platzierte ihn auf meinen Schoß. Meine ohnehin schon pulsierende WĂ€rmepumpe zwischen den Beinen genoss eine Extraportion glĂŒhender Laptophitze. Eine WĂ€rmflasche fĂŒr die Kronjuwelen sozusagen. Da musste ich schon wieder pissen.


WĂ€hrend ihr staubverstopfter LĂŒfter hilflos aus dem letzten Loch pfiff, starrte ich benommen auf den flimmernden Bildschirm und las ihre Zeilen. Es ging um Liebe (aber das tut’s ja immer), irgendwas mit Hexen, Elfen und Kobolden und ĂŒber das schicksalhafte Leben, das uns ja so sehr »fickte«, aber das tut’s ja immer.

Ich muss zugeben, ihr Vokabular, bestehend aus KraftausdrĂŒcken, war umfangreicher als meins, nahezu »fabelhaft«, doch ehrlich gesagt, musste ich aus irgendeinem Grund nach den ersten Zeilen wĂŒrgen und mich zusammenreißen, weil mir sonst die (Nicht-)veganen Kartoffelchips wieder hochgekommen wĂ€ren.


»Und
? Wie findet es der ‚Herr Schriftsteller‘?«, fragten ihre grĂŒnleuchtenden, ganz erwartungsvoll dreinschauenden Kulleraugen.


Ȁhm
 ja, hat was!«, meinte ich. – Um ehrlich zu sein, es war ganz grauenvoll! (Noch viel fĂŒrchterlicher als dieser Text hier!)


»Wie? Was meinst du damit?«


»Nicht schlecht!«, sagte ich.


»Nicht schlecht? Ist das alles? Lies mal weiter, los!«, befahl sie und plötzlich starrte mich das Mondgesicht ganz bitterernst und gruselig an.


»Okay! Okay!«, las ich weiter. Und dann las ich die Zeilen: »Wir sind kleine MolekĂŒle im Raum. Die MolekĂŒle setzten sich zusammen und ich entstand «


Wow! Das war so herrlich nichtssagend, Miss Atomhaufen! Ich klappte den Laptop schnell wieder zu. So viel Scheiße hatte ich zuletzt auf der Facebook-Seite der TAZ gelesen. Mir wurde ein bisschen ĂŒbel. Ich rĂŒlpste.


»GefĂ€llt’s dir nicht?«


Ȁh
 doch, natĂŒrlich!«


»Sei ehrlich! Wie findest du’s?«


»Ich finde, da steckt Potential drin!«


»Potential?«


»Na
 Potential halt!« - (Nur nicht in diesem Text!)

Sie schmollte.


»Du bist auf alle FÀlle besser als ich!«, versuchte ich sie aufzubauen.


»Das glaube ich kaum«, sackte sie entrĂŒstet zusammen. (Ich natĂŒrlich auch nicht, aber was hĂ€tte ich sagen sollen?)


»Glaubst du denn an irgendwas?«, fragte sie neugierig.


»Kaum«, sagte ich.


»Und was ist mit dir selbst?«


»Auch kaum.«


Prompt entriss sie mir den Mini-Laptop und zog eine Schnute, um im nÀchsten Moment wieder wortlos nach meinem Grasbeutel zu greifen und den ungezÀhlt drölften Joint in Folge zu bauen.


Ȁh, ja
 nur zu, bedien' dich ruhig!«, stöhnte ich und lehnte mich zurĂŒck. (Warum können wir nicht einfach diese Scheiße sein lassen und wild rumvögeln?)


»Weißt du, Alec «, murmelte sie zwirbelnd, » es gibt so viele Dinge da draußen, von denen du nichts kapierst!«


»Ach, wirklich?«


»JA, ECHT!«, leckte sie das Paper an. Mir wurde heiß. Sie hingegen brĂŒhte ab. Jetzt hatte ich mich in Teufels KĂŒche begeben. Sag niemals provokante Dinge zu jungen, psychisch labilen Damen.


So high und besoffen, wie ich inzwischen war, stellte ich mir vor, wie der Himmel geradewegs ĂŒber uns zusammenbrach und ein Pulk aus Kobolden und DĂ€monen in den Wolken saß und mich heftig anfeuerte und sie um Geld wetteten: (»Go, Alec! Go! Lass sie labern! Mach schon, krall‘ sie dir! Knall die Kleine!«)


Ja, am liebsten hÀtte ich diesen kleinen Biestern eine astreine Show abgeliefert und dieses irre Mondgesicht geschnappt, ins Schlafzimmer gezerrt, aufs Bett geworfen und hemmungslos durchgevögelt - aber so einfach ist das ja nicht. Und der wirkliche Knall, der sollte erst noch kommen.


»Hörst du mir eigentlich zu, Alec?« – Schwurbel, Schwurbel. Ich starrte sinnentleert ins Leere.


Ȁh
 na klar!«, sabberte ich.


»Aha! Ich glaube, du unterschÀtzt mich wohl, hm, mein Lieber?«


»Meinst‘e?«


»Ja, man! Mein ich! Ich bin nĂ€mlich ein M E D I U M und kann dir verraten, welches Tier du im letzten Leben warst!«, rĂŒckte sie von mir weg und starrte mich mit ihrem paralysierenden Mondblick an.


»Ach, echt? Ich war ein Tier?«


»Ja, jeder von uns war mal ein Tier!«


»Ach ja? Und
 was fĂŒr ein Tier war ich?«


Dann blickte sie mich einen Moment lang intensiv an und fĂŒhrte dabei wieder einen ihrer theatralischen TĂ€nze aus. Ich schnappte nach Luft (und Papes), sie zirkulierte geistig durch den Raum.


»Du warst ein «, flĂŒsterte sie, da ließ sie die Augenlider zuklappen und tippte mir mit gestrecktem Zeigefinger gegen die Stirn. Sie dachte scharf nach, so scharf sie nur konnte.


»Ja
?«


»Warte! Warte
!«


»Na komm schon, spann mich nicht auf die Folter!«, schloss ich spaßeshalber nun auch die Augen, obwohl ich mir nicht sicher sein konnte, ob dies nicht vielleicht doch nur ein TĂ€uschungsmanöver war und sie mich jeden Moment umbringen wollte.


»Ein H U N D!«, platze es aus ihr heraus. Stille. Grillenzirpen. Ich riss die Augen auf.


»Wie bitte?! Ein Hund?«


»Ja, ein Hund«, schielte sie mich gleichgĂŒltig an.


»War ich denn ein cooler Hund? Sowas wie ’n Golden Retriever?«, fragte ich neugierig.


»Nö!«


»Ein Mops?«


»Auch nicht.«


»Pudel?«


»Nope.«


»Kafkas Hund?«


»Vergiss es!«


»Was dann?!«, flehte ich.


»Du warst ’n Streuner!«


»Wie bitte?!«


»Yep! Ein bulgarischer Straßenköter! Eine missratene Promenadenmischung.« - (Na toll!)


Doch plötzlich ging mir ein Licht auf. Auf einmal ergab alles einen tieferen Sinn! Ein Hund! Das erklÀrte meine stÀndige Faulheit, warum ich so gern mit »BÀllen« spielte und nichts anderes im Sinn hatte als Schlafen und Fressen und irgendwelchen Mietzen hinterherzujagen.


Ein Hund also
 Und noch dazu nicht einmal ein besonders schöner! Eher ein evolutionĂ€rer Unfall. Angeblich sei ich vom Auto ĂŒberfahren worden und ein paar arme bulgarische Waisenkinder hĂ€tten meine zermatschten Überreste als Snack auf den MĂŒlltonnengrill geworfen. (Krasse Erleuchtung!)


Da wird doch der Hund in der Pfanne verrĂŒckt! Da nahm ich dieses unscheinbare 22-jĂ€hrige Astralwesen mit zu mir nach Hause und erhoffte mir im Idealfall ein mittelprĂ€chtiges SchĂ€ferstĂŒndchen, doch stattdessen ließ ich mir am Ende eintrichtern, dass ich im frĂŒheren Leben ein zotteliger, völlig nichtsnutziger StraßenklĂ€ffer gewesen sei.


Plötzlich fĂŒhlte ich mich irgendwie befreit. Und zugleich noch viel einsamer als je zuvor. Ich bekam einen Schlaffen. Hatte ich diesen miserablen Werdegang etwa verdient? Hatte ich einmal zu oft die fremden HĂŒndinnen aus meinem benachbarten Ghettoviertel begattet und dafĂŒr die gerechte Strafe verdient? Gab es so etwas wie »Karma« ĂŒberhaupt? Einem Atheisten wie mir erschien das alles schleierhaft.


»Hey, jetzt glotz doch nicht so bedröppelt!«, fasste sie mich an der Schulter, und spĂŒrte, wie sie sich plötzlich wieder nĂ€herte, fast an mich schmiegte. Ich zuckte kurz zusammen.


»Komm, scheiß drauf, du alter Hund!«, stumpte sie mich an. »Und sag mal, wollen wir ’ne Pappe schmeißen? Dann kann ich’s dir beweisen!«


»Eine
 was?!«


»Du weißt schon, was ich meine «, zwinkerte sie wieder so keck, und da sah ich erneut dieses wahnsinnige Grinsen in ihrem furchtbar sĂŒĂŸen Mondgesicht.

NatĂŒrlich war mir »eine Pappe schmeißen« als Bezeichnung des LSD-Konsums gelĂ€ufig – schließlich lebte ich ja nicht hinterm Mond – und doch wollte ich mich nur vergewissern, es richtig verstanden zu haben.


»L
 S «, versuchte Miss Moonlight loszubrĂŒllen, worauf meine flache Hand reflexartig auf ihren zarten Mondlippen landete, um diese schleunigst zu versiegeln.


»Pssst
! DĂŒnne WĂ€nde! Ich hab hellhörige Nachbarn, die rufen bei jeder Kleinigkeit sofort die Cops!«, flĂŒsterte ich.


»Okay
 L S D«, hauchte sie mir engelsgleich ins Ohr, und sogleich verspĂŒrte ich ein mulmiges GefĂŒhl. Sollte ich mir jetzt wirklich mit einer mir eigentlich unbekannten, latent verrĂŒckten, von zu Hause abgehauenen, halbtĂŒrkischen schlechten Schriftstellerin LSD-Pappen auf die Zunge legen?


»Auf geht’s!«, sagte ich, und hechelte ein bisschen.

Sie kicherte wieder so dĂ€mlich hexenartig, grinste ganz schrĂ€g und griff im nĂ€chsten Moment nach ihrer kleinen Kosmetiktasche, die sie irgendwo aus ihrem ĂŒbergroßen Sack von Rucksack zauberte. Und dann sah ich, wie sie mir die kleinen pinken Papierschnipsel prĂ€sentierte.


»Also
 pass gut auf! Das hier legst du ganz einfach unter die Zunge, verstanden?«


»Unter die Zunge
 verstanden «


»Oh, Jesus
 das wird so geil!«, schwĂ€rmte sie und fĂŒhrte wieder eins ihrer kleinen TheaterkunststĂŒckchen aus.


»Ja ja, schon klar!«, quasselte ich zugedröhnt vom Gras zurĂŒck und gab ihr (eigentlich zum Dank) ein voreiliges KĂŒsschen, voller Vorfreude – und saugte mich dabei fĂŒr einige Minuten oktopusartig an ihren Lippen fest. (»Housten, the Beagle has landed!«)


Ein gewaltiger Fehler, wie sich herausstellen sollte. Fragt nicht, was in mich gefahren war. Vielleicht war es diese furchtbare Einsamkeit der letzten Jahre, doch irgendwie genoss ich diesen intensiven Lippenkontakt. Die GefĂŒhle gingen mit mir durch, so war es halt.


Was im nĂ€chsten Moment geschah, kann ich ehrlich gesagt, nicht mehr hundertprozentig rekonstruieren. Ich sah nur, wie ihre kleine knochige Hand karateartig umherschnellte, spĂŒrte bloß den peitschenden Aufprall auf meiner Wange und den damit verbunden Schmerz und taumelte plötzlich in einem flimmerndem Meer aus lauter bunten Sternchen durch den verrauchten Raum. Das hatte gesessen.


»ALTER!«, brĂŒllte sie los. »Sag mal
 hast du sie noch alle?«


Ȁh
 (gescheppert) was?«, schwirrten gescheppert die Vögelchen umher und bumsten die Sternchen. Ich atmete durch und versuchte zu mir zu kommen.


»Geht’s noch, Junge?«, fluchte sie.

Wenn eine Frau so mit dir spricht, dann hast du’s definitiv verkackt. (Mission Complete!)


»Na ja
 ich dachte halt, wir «, stotterte ich.


»Was? Was dachtest du?«, brĂŒllte sie mich an.


Ȁh
 ja, so halt?!«, machte ich eine dumme Handbewegung.


»ALTER! DAS IST SEXISTISCH UND ÜBERGRIFFIG! WANN KAPIERT IHR MYSOGYNEN ARSCHLÖCHER DAS ENDLICH?«


»Ach ja, aber ungefragt gefĂŒhlte drölf Joints in Folge von meinem Gras drehen ist nicht ĂŒbergriffig, oder wie?«, versuchte ich hilflos zu kontern.


»Das ist was anderes!«, brĂŒllte sie. »Außerdem waren es nur 7!« - Na gut, immerhin hatte sie mitgezĂ€hlt.


»Alright«, sagte ich und griff nach meinem Bier. Ich konnte parallel beobachten, wie ihr Gesicht immer röter wurde. Und im Spiegelbild auch meins. Sie leuchtete nahezu, fast wie die tĂŒrkische Nationalflagge. Rot-Weiß, Weiß-Rot - wie Pommes, nur ein bisschen unappetitlicher.


»Ollum, du kleiner Mieser «, fing sie kratzkatzenartig an zu knurren, zu fauchen und mich mit ihrem diabolischen Röntgenblick optisch zu töten. Ich war ihr wohl einen Schritt zu weit gegangen.


Doch das absolut Irrationalste sollte noch kommen. Sturzbetrunken und high, wie sie inzwischen ebenfalls war, torkelte Eda aka. Miss Moonlight auf mich zu. Ich stand auf und wich zurĂŒck. Und im Handumdrehen hatte ich plötzlich ihren Hintern in der Hand. So passiert das.


»Okay
 pass auf
 wir könn‘ dis auch anners‘ regeln, mein Lieber!«, schlĂ€ngelte sich ihr blutjunger zierlicher Körper um meinen. Langsam krabbelten ihre Spindelfinger mein Bein entlang. Da stand sie wieder, diese gemeingefĂ€hrliche Fleischpeitsche.


Einen Moment lang glaubte ich, mein letztes StĂŒndlein hĂ€tte geschlagen und diese wildgewordene Furie wĂŒrde mir jeden Moment den Sack ausreißen und zu Kebap verarbeiten, da fragte sie bloß: »Wie viel zahlst du?«


»Was?«


»Na, du hast mich schon verstanden. Schadensersatz! Wie viel zahlst du?«


»FĂŒr
?«, fragte ich ganz blauĂ€ugig, obwohl ich sie lĂ€ngst verstanden hatte.


»Na, wenn du und ich
 Du weißt schon «, machte sie eine dumme Handbewegung, Da wurde mir wieder einmal klar, was fĂŒr einen Tiefpunkt ich erreicht hĂ€tte, wĂŒrde ich jetzt meinen verdammten Trieben nachgeben.


»Reiß dich zusammen, reiß dich zusammen «, murmelte ich mir mantraartig zu. Scheiße man, sie war schon relativ heiß, dachte ich. Was soll ich tun? Sollte ich wirklich einer offenbar geistig verwirrten, aber relativ attraktiven, 21-jĂ€hrigen Hippie-Braut Geld dafĂŒr geben, dass sie sexuelle AktivitĂ€ten mit mir vornimmt? Ihre prekĂ€re Situation schamlos ausnutzen, und das nur aus purer Notgeilheit?

Ich griff zum Geldbeutel. »Also, ’nen Fuffi hab ich noch. Is ’n Blowjob drin?«


»Fick dich! HĂ€ltst mich wohl fĂŒr ’ne billige Nutte, was?«, brĂŒllte die Kleine.


»‚Billig‘ hab’ ich nicht gesagt!«, sagte ich. Sie holte aus. Alles verging fĂŒr den Bruchteil einer Sekunde wie in Zeitlupe.


Gerade verschrĂ€nkte ich beide Arme vorm Gesicht, um in Schutzstellung zu gehen, da fiel sie mir in die Arme und kotzte mir das Laminat voll. Ein fettes PfĂŒtzchen, ein SĂŒppchen aus halb verdauten Kebap- und Sucuk-Bröckchen, manche sahen aus, als hĂ€tte man sie nochmal essen können.


Als wĂ€re die Situation nicht schon »cringe« genug gewesen, brummte im selben Moment das Telefon. Zum GlĂŒck, dachte ich. (Allahu Nacktbar!)


Das Brummen besÀnftigte das wildgewordene, speiende Biest von. Miss Moonlight zögerte keine Millisekunde und ging sofort ran. Schien wichtig zu sein.


»Evet, Baba? Evet... geliyorum. Bir arkadaĆŸÄ±mla birlikteyim Hayır, merak etme, eve geliyorum«, schwurbelte sie ins GerĂ€t. Oh ja, es war wichtig. Ihr Vater.

Verdammt, hoffentlich hab‘ ich mir jetzt keinen Ärger eingebrockt, dachte ich mir, und die Olle holt ihre drölftausend BrĂŒder, die mich kurzerhand kleinkastrieren!


Ich verstand kein Wort von all dem genuschelten Kauderwelsch, aber irgendwann wurde aus dem Kontext deutlich, dass ihr familiÀrer Diktator verlangte, dass sie umgehend und ohne Widerworte nach Hause kommen sollte.


(Vielleichte wollte er sie aber auch einfach nur zu einer Tee-Party einladen und ihr ein neues stylishes Kopftuch prĂ€sentieren. Wer weiß?!) – Seine brĂŒllende Stimme klang sehr kratzig und donnerte laut durch die Hörmuscheln ihres vergilbten iPhones.


Dann legte sie auf. Sie regte sich gar nicht. Sie legte einfach auf und starrte ins Leere. Fast so, als wÀre jemand gestorben.


»Was ist los? Was ist passiert?«, fragte ich in einem Moment der Totenstille.


»Nichts
 ich muss weg«, wurde sie kreidebleich.


»Mein Vater
 Er will, dass ich nach Hause komme.« (Wusst‘ ich’s doch!)


»Und du folgst einfach seinem Befehl? Wie war das noch mit ‚Anarchie‘ und deinem Kampf gegen das böse ‚Patriarchat‘?«, tippte ich ihr auf die Schulter, doch meine BerĂŒhrungen schienen sie nun nicht mehr zu interessieren.


»Ach, Alec
 du weißt doch, wie das bei Moslems zugeht!«, seufzte sie und ließ ihr trauriges Mondgesicht hĂ€ngen. Und da verstand ich sie, glaubte ich.


»Wie? Du musst doch gar nichts!«


»Hör zu, Alec
 Du verstehst das nicht!«, packte sie hektisch ihren Kram zusammen.


»Hier, ich lass' dir das da!«, warf sie die Pappen auf den Tisch. »Mach damit, was du willst! Aber gib mir ein paar Euro dafĂŒr!«


Schnell kramte ich nach meinem Portemonnaie, fischte einen Zehn-Euro-Schein raus, wedelte damit und fragte: »Reicht das fĂŒr ’nen
?«


»Sag’s nicht, du Arschloch!«


Sie schielte schĂ€big, riss mir den Lappen aus der Hand und stopfte ihn lasziv in ihren prallen Ausschnitt. In Windeseile ergriff sie ihre mobile ÜberlebensausrĂŒstung samt Skateboard und verschwand wie der Blitz zur TĂŒr hinaus. Ein Donnern, weg war sie. Weg waren die schiefen KlĂ€nge eines Mondgesichts. Und alles, was sie hinterließ, war ein kleines Gedankenchaos. Und zwei winzige PappstĂŒckchen. Zwei kleine sĂŒĂŸe Dreiecke mit ein paar lustigen, teils abgeschnittenen Smileyköpfen drauf, wie sie mich herzhaft lustvoll angrinsten.


Und wieder war sie da, diese Einsamkeit. Und ich stellte mir die Frage: Soll ich? Oder soll ich nicht? Was wĂŒrde passieren? WĂŒrde ich mich in einen bunten fliegenden Hund (Kafkas Hund?) verwandeln, der aus dem Fenster springt oder kĂ€me ich (imaginĂ€r) endlich mit der Zunge an meine Kronjuwelen ran und wĂŒrde mich bis zur heiligen Erleuchtung ins Nirvana schlecken?


Wer weiß, wer weiß? Wer weiß, was passieren wĂŒrde? Was soll ich bloß tun? Ich war tierisch ĂŒberfordert. Dann fragte ich mich, was wĂŒrde ein anderer tun? (Was wĂŒrde Jesus tun?) - Was wĂŒrdet IHR an meiner Stelle tun?


PS: Ich weiß natĂŒrlich, wie alles ausgegangen ist, aber das ist eine ganz andere Geschichte



E N D E



© Alec Richard, 2024



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