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AutorenbildAlec Richard

Der WTF-Moment, gefühlte 11 Minuten her – Oder: „ALEC IN LOVE UND DER ROSAROTE PAPIERFLIEGER“


 


Illustration: Alec Richard


SPOILER: Ich habe im Internet meine Traumfrau gefunden! Besser gesagt, sie hat mich gefunden.


Wer mich persönlich kennt, der weiß, dass tief in meinem Inneren ein kleiner, hoffnungsloser Romantiker schlummert. Einer, der trotz all der unzähligen Fehlschläge und Enttäuschungen nie den Glauben an die wahre große Liebe verloren hat. Rund 35 Jahre lang musste ich auf diesen einen besonderen Moment warten. Nun war es endlich so weit.


Es war ein stinknormaler Sonntagmorgen. Die Herbstsonne bohrte sich für einen kurzen Augenblick wie Laserstrahlen durch die engen Schlitze meiner heruntergelassenen Jalousien. Meine träge Masse ruhte derweil völlig abgerockt auf dem vollgekrümelten Sofa, von wo aus ich mit dem Handy ganz und gar sinnentleert durch meinen Instagram-Feed auf- und abscrollte und all die schönen, glücklichen Leute mit all ihren schillernden, so glücklichen Leben beneidete.


Doch dann geschah es. Auf einmal leuchtete dieses Ding auf. Ihr wisst schon, dieses Symbol, das aussieht wie ein Papierflieger. Einsamen Menschen geschieht sowas sehr selten, weshalb mich dieser rosarote Papierflieger regelrecht in seinen Bann zog.


Rot, die Farbe der Liebe! Die Farbe des Blutes! Und nun vielleicht auch die Farbe meines unerwarteten Glücks? Hastig tatschte mein schwitziger Zeigefinger auf das Icon und öffnete damit das Nachrichtenfenster.


„Hey“, schrieb eine mir noch unbekannte Person. Ein Zeichen, dass ich auf intelligentes Leben gestoßen sein musste. Denn intelligente Wesen sparen sich überflüssiges Drumherumgerede. Sie wissen einfach, worauf es ankommt.


Bevor ich mir das Bild näher ansah, las ich natürlich zuerst den Namen: „Warren Heather“ – Hm, das muss Englisch sein, dachte ich mir. Ich grübelte. Ist Warren nicht ein männlicher Vorname? Aber vielleicht wusste es Miss Heather ja „better“. Um „better“ mit diesem virtuellen Alien kommunizieren zu können, hüpfte ich schnell zum Bücherregal und griff ein verstaubtes Englischwörterbuch heraus, das sich noch aus der siebten Klasse in meinem Besitz befand. (Mein bester Freund Carlos hatte es damals aus Schulbibliothek mitgehen lassen.)


Ich recherchierte in dem dicken Nachschlagewerk, ob Warren nun männlich oder weiblich sei, fand aber keine zufriedenstellende Antwort. Nur irgendetwas von „Warning“, „Warrior“ und „Warranty“. Aber egal, man kann sich sein Geschlecht ja heutzutage aussuchen!


Um das Rätsel endlich zu lösen, tatschte ich wagemutig auf ihr Profil und siehe da: Eine Frau! Wer sagt’s denn? Ein waschechtes weibliches Wesen aus Fleisch und Blut und fast so gekleidet wie der liebe Gott sie schuf! Lange graziös geformte Beine, eine anschmiegsam schlanke Taille und prachtvoll stehende Brüste, vom lieblichen, gar puppengleichen Antlitz ganz zu schweigen. Ja, hier hatten Gottes Präzisionsdesigner ein wahres Meisterwerk abgeliefert. Und diese gelungene Schöpfung der Natur kommunizierte mit mir. Mit mir! Einem solch missratenem Penner meiner Art! Un-fucking-fassbar!


Um mindestens genauso intelligent auf sie zu wirken, antwortete ich ebenfalls ganz lässig mit einem „Hey!“, was mir aber im nächsten Moment dann doch zu kurz vorkam. Ich bin schließlich ein Mann, ich musste einfach einen draufsetzen! Also löschte ich schnell meine Nachricht wieder und machte draus ein „Hey! Hey, Baby!“, umrundet von einem coolgrinsenden Sonnenbrillen-Emoji. (Uh, ah!)


Sogleich kam ihre nächste Nachricht: „It’s raining cats and dogs!“ – Nachdem ich den Satz übersetzt hatte, zog ich die Jalousien hoch und sah zum Fenster raus, konnte aber keine vom Himmel fallenden Tiere entdecken.


Nun gut, sie wohnt ja auch in England oder in Amerika oder in Australien oder halt an irgendeinem anderen Ort, wo sie Englisch sprechen. Wer weiß schon, wie das Wetter dort gerade ist?! Ich mein, „Klimawandel“ und so!


Ich spürte, wie unser Gespräch so richtig in Fahrt kam. Dann fragte sie mich: „What about you? What are you doing?“ – Schnell blätterte ich im Wörterbuch und stellte fest: Sie interessierte sich tatsächlich für mein Wohlbefinden und was ich aktuell so treibe! Aber sollte ich ihr wirklich verraten, wo sich gerade meine Hand befand? Das schien mir zu ungeniert. Grübelnd zögernd vertrödelte ich die Zeit auf der Suche nach einer passenden Antwort.


Minuten vergingen und es folgte ein: „Why are you so quiet?”, gespickt mit einem traurigen Smiley. Am liebsten wollte ich ihr sagen: „Oh, Baby! Warte doch, bitte! Als alter weißer Mann bin ich halt nicht so schnell, schlau und eloquent wie du!“ – aber sie verstand ja kein Deutsch.


Dann blitzte die nächste Nachricht auf: „Good things come to those who wait!” – Wow! Das dachte ich mir doch auch und wurde abermals beeindruckt. Tiefgründig philosophisch konnte sie auch noch sein! Womit hatte ich das nur verdient? Heute musste wirklich mein Glückstag sein.


„My pussy is wet!”, schrieb sie, also schlug ich im Wörterbuch das Wort „Pussy“ nach, was mir verriet, dass es sich um ein junges Kätzchen handeln musste. Wahnsinn, ich liebe tierliebe Mensch! Ich munkelte, vermutlich hatte sie eine der vom Himmel fallenden Katzen aus einem Brunnen gerettet und sehnte sich jetzt nach einem tapferen Mann an ihrer Seite, der mit ihr zusammen dieses arme Ding aufpäppeln würde. Wie süß! Mir wurde richtig warm ums Herz.


„Do you like s*x?”, lautete ihre nächste Frage. Gendersternchen vor einzelnen Konsonanten habe ich so noch nie gesehen und auch mein Wörterbuch hielt keine schlaue Antwort parat. Was könnte sie bloß meinen? Natürlich wollte ich mich nicht blamieren, also befragte ich ausnahmsweise Dr. Google und fand heraus, dass es sich um eine amerikanische Baseball-Mannschaft namens „Chicago White Sox“ handeln musste, die in ihrem Fanshop unter anderem Socken mit ihrem aufgenähten Emblem vertreiben. Baseball ist zwar nicht so meins, aber hey, Ahnung von Sport hat sie!


In meinen Augen muss eine absolute Traumfrau genau drei Attribute erfüllen. Sie muss schlau sein (das ist sie), sie muss gut aussehen (Jeeesus, definitiv!) und sie muss ein bisschen „versaut“ sein. Beim letzten Punkt war ich mir noch nicht so ganz sicher, sollte aber gleich eines Besseren belehrt werden.


Denn nachdem sie mir mitteilte, dass ihre Katze nass geworden war, sandte sie mir eine private Fotografie ihrer vermeintlichen Katze und ich glaubte, mich trifft der Schlag: Es war eine Ablichtung ihres nackten, glattrasierten Schambereichs! Krass, wie schlau sie ist! Da wollte sie also auf die teure Prozedur der Heirat verzichten und direkt mit mir eine Familie gründen! Wie clever ist das denn?


Wow! Diese Frau hat einfach alles, wonach ich mich immer gesehnt habe. Und wie sich später herausstellte, kann sie sogar richtig gut mit Computern umgehen, denn sie schickte mir den Link zu ihrer eigenen (!) Webseite. Dort sollte ich mich anmelden (wahrscheinlich ist sie als Top-Model vielbeschäftigt), damit wir uns mal treffen und näher kennenlernen können.


Wisst ihr was? Ich bin ganz schön aufgeregt! Was soll ich ihr nur schreiben? Ich werde mich gleich in meine dunkle Arbeitshöhle verkriechen, die Feder in die Tinte tauchen und der holden Maid eine zwölfseitige Liebeserklärung auf rosa Pergamentpapier schreiben. Sobald ich fertig bin, falte ich diesen zu einem Papierflieger und schicke ihn gen Amerika oder England oder Australien oder halt irgendeinem anderen Ort, wo sie Englisch sprechen. Wünscht mir Glück!


E N D E


© Alec Richard, 2022

129 Ansichten2 Kommentare

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Patientin D.

2 commentaires


karen
karen
06 févr. 2023

Habe eben "die Rosarote Papierfliege" , ( The Wet Pussy"), gelesen! Wie gut ist das denn!? Sagenhaft, hab mein Lach Quotient für heute erfüllt! Alec, bist'ne Schlingele ! 😅

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Alec Richard
Alec Richard
07 févr. 2023
En réponse à

Vielen lieben Dank! Das freut mich sehr! 😊

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