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AutorenbildAlec Richard

Der WTF-Moment des Monats: Einfach Alec

Aktualisiert: 14. Jan. 2024


Cover/Artwork: AI Art by Axel Aldenhoven


SPOILER: Ich war für 24 Stunden lang einfach mal komplett ehrlich, einfach ich, einfach Alec. (Bitte nicht nachmachen!)

 

Vor ein paar Tagen wurde ich im Internet von irgendeiner belanglosen Person gefragt, ob ich denn tatsächlich so sei wie ich mich online so gebe. Und eins kann ich euch versichern: In Wirklichkeit bin ich noch viel schlimmer als man vermuten mag, nur lass ich es leider viel zu selten raus.


Ständig sind da diese inneren Blockaden, die wohl meiner guten Erziehung geschuldet sind - (Danke, liebste Omi - Rest in Peace!) – was meist dazu führt, dass ich in der Öffentlichkeit versuche, die Contenance zu bewahren und mir »halt so meinen Teil denke«.

 

Stattdessen spielt sich das größte Chaos in meinen Gedanken ab und frisst sich quer durch meine Synapsen. Manch einer mag aufgrund meiner Veröffentlichungen behaupten, ich hätte einen Groll auf Menschen oder ich sei ganz und gar von Hass durchtrieben, doch dem ist nicht so. Ich nenne es viel eher eine reflektierende Auseinandersetzung mit meiner Umwelt.

 

Eines Tages, da kam es wie es kommen musste und mir platzte der Kragen. Wie das so ist, vielleicht war ich einfach viel zu krass »abgefuckt«.

 

Und dann kam mir plötzlich diese zündende Idee, die ganz bestimmt noch keiner hatte: »Was wäre wenn?« - Was wäre, wenn wir alle mal für einen Tag lang mal komplett ehrlich zueinander wären? Was wäre das für eine Welt, in der es keine Lügen mehr gäbe?

 

Mir geht diese ständige Heuchelei doch auch gewaltig auf die Nüsse, diese aufgeplusterte Selbstinszenierung. Warum können wir Menschen nicht einfach offen und ehrlich sein? Und zeigen, wer wir wirklich sind?

 

Es soll ja Leute geben, die mit meiner Anonymität im Internet absolut nicht zurechtkommen, es dann aber nicht ertragen können, wenn ich ihnen gegenüber (inhaltlich) absolut schonungslos ehrlich bin.

 

Also stürzte ich mich in ein waghalsiges Experiment und beschloss für einen Tag komplett ehrlich, also nur ich selbst (!) zu sein, und all meinen Mitmenschen die absolute Wahrheit zu offenbaren, so kalt und bitter sie auch sein möge.

 

Und da saß ich nun, an einem winterlichen spätnachmittag in einem völlig überfüllten Zug auf der Heimfahrt, die Sonne ging allmählich unter, obwohl sie durch die zerkratzten Fensterscheiben kaum zu sehen war, und ich konnte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, allen Fahrgästen groß und breit mitzuteilen, dass ich Alec Richard war und in Wahrheit XXXXXX XXXXXXXX* (*Name von der Redaktion geändert) hieß, dass ich 172 cm groß war, dunkelblondes, mittellanges Haar trug und laut Pass blaugraue Augen hatte, die aber im schummrigen Licht der Wintersonne bunt glitzerten, wenn ich mich freute – oder wenn ich ehrlich war.

 

Ich erzählte allen im Abteil, dass ich aufstrebender Schriftsteller sei, der irgendwann was ganz Großes reißen würde, zeigte ihnen Fotos von meinem letzten Dinner – (es handelte sich um ästhetisch inszenierte Cheeseburger von McDonald’s) - woraufhin ich ihnen dann erklärte, welche Hobbies ich hatte (nämlich das Schreiben von Scheiße), dass ich auf Katzen (also süße Pussys) stand, wie lang mein Schwengel (nämlich 22 cm) war und welche (sexuellen) Vorlieben ich hatte. Einfach offen und ehrlich! Einfach Alec! Und dann suchte ich nach Pimmelbildern, die aber zu groß für ihre Empfangsgeräte waren…

 

Doch dann wurde es ernst, so richtig bitterböse ernst, als an der nächsten Station plötzlich die Fahrkartenmafia eintraf und Nachweis oder Schutzgelderpressung verlangte.

 

»Guten Abend, die Fahrscheine bitte!«, grummelte ein uniformierter Fettsack, dessen Selbstbewusstsein nahezu aus allen Nähten platzte. Man hatte es dem armen Kerl antrainiert.

 

»Hallo, der Herr!«, sagte ich freundlich, »Ich bin Alec Richard, angehender Bestseller-Autor, ich trage dunkelblondes, Haar, bin 1,72 Meter groß, hab graublaue Augen, mein Schwengel ist 22 cm lang und mein Lieblingsstellung ist…«

 

»Ihre Fahrkarte bitte!«

 

»Ach so, ja klar… warten Sie, ich hab‘ ein Deutschlandticket!«, zückte ich mein Mobiltelefon und versuchte dem anschaffenden Schaffner von der Authentizität meiner Bleibeberechtigung in diesem Wagon zu überzeugen.

 

»Wo ist der Barcöde?«, grummelte der uniformierte Fettsack mit energischer Stimme, als er mit düsterem Blick auf das Display starrte, das ich ihm wortlos entgegenstreckte.

 

»Wie meinen, der Herr?«, gab ich mich verwundert. »Ich hab keinen Barcode, hier, da sehen sie! In der App steht doch mein bürgerlicher Name und das Kaufdatum des Tickets, was wollen Sie denn noch?«

 

Da trat sein schlaksiger Kollege herbei - offenbar hatte ich es mit »Dick und Doof« zu tun – und ermahnte mich ebenfalls in scheinbar einstudierter bedrohlicher Stimmlage: »Wir brauchen von Ihnen den Barcöde, andernfalls fahren Sie schwarz!«

 

»Aber ich bin doch weiß, sehen Sie doch, oder?« - (Rassisten!)

 

»Ihnen ist wohl zu Scherzen zumute?«

 

»Klar, bin ja auch Alec Richard.«

 

»Noch mal: Wir brauchen den Barcöde, hören Sie?«, ermahnte mich die Bohnenstange mit dem sächsischen Dialekt. (Ob die bei der Bahn bevorzugt Leute aus Sachsen einstellen? - Rassismus!)

 

»Nun, ich habe hier nur diese App, die mir anzeigt, dass ich ein Ticket bei Ihrem Arbeitgeber gekauft habe.«

 

»Ja, aber wir brauchen den B A R C Ö D E! Verstanden?«

 

»Was kann ich bitte dafür, wenn da kein B A R C Ö D E auf dem Ticket ist? Hab ich die App gemacht? Steht auf analogen Tickets denn ein B A R K Ö T?«, äffte ich ihren Dialekt nach.

Verdutzt blickten sich Stan und Olli einander an und wussten scheinbar nichts mehr zu antworten.

 

»Sehen Sie! Und jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe!«, worauf die beiden Herren mit ihrem strotzendem Ego verächtlich davon stolzierten und sich komische Dinge (auf Sächsisch natürlich) zusäuselten, die ich sowieso nicht verstand.

 

Und dann schrie ich hinterher: »Und wenn sie einen B A R – K Ö T wollen, muss ich Ihnen schon in einer Leipziger Kneipe auf den Theresen scheißen!« - Haben sie nicht verstanden, war aber ehrlich.

 

Indes befand sich noch eine deutsch-»muslimische« (wenn wir mal ehrlich sind, existiert Religion gar nicht) Frau im Abteil, die gerade mehr damit beschäftigt war, ihr aufgesetztes Kopftuch zu richten, während sie sich vor ihrer Handykamera schminkte, statt ihr kleines schreiendes angehendes Alphamännchen zu beruhigen, welches vor lauter Hin- und Hergewippe beinahe aus dem staatsfinanzierten Kinderporsche fiel.

 

»Entschuldigung, gnädige Dame mit dem Lappen auf dem Kopf, verehrte Konver… Titte (die weiblich politisch korrekte Form für Leute, die sich dem mentalen Stumpfsinn anschließen)«, sprach ich halbwegs sauber und höflich.

 

»Was, lan? Was will‘ su, aller?«, kam zurück. Ich war erstaunt von ihrer Eloquenz.

 

»Soll ich’s erledigen? Oder machen Sie’s selbst?«, blickte und deutete ich zum Quälgeist mit der obligatorischen Alpakafriese. »Haben doch sicher irgendwo einen Sprengstoffgürtel versteckt, oder?«

 

Das wollte sich ihr frisch angeheirateter Influencer, Manipulator und patriarchalischer Herrscher natürlich nicht gefallen lassen. Prompt sprang der wuchtige, bärtige Araber mit der obligatorischen Alpakafriese in den Aldidas- Sportklamotten auf und spuckte mich faktisch, nicht nur verbal, mit Tönen voll, die ich aber nicht verstand. (Klang so ähnlich wie sächsisch, nur schlimmer.)

 

Den fliegenden Fäusten des Imperators entkommend, flüchtete ich zur nächsten Ausgangstür und da hielt die Bahn zum Glück im richtigen Augenblick an der Endstation.

 

»HAUPTBAHNHOF XXXXXXXXX* (*Name von der Redaktion geändert) – Bitte alle aussteigen!«, tönte es aus den Lautsprechern.

 

Kaum am Gleis angekommen, lief mir irgendeine verdammte Dreckstöle (so eine missratene Promenadenmischung) genau  zwischen die Beine und biss mich, wodurch ich beinahe mein kostbares Heimwegbier verschüttet hätte. 

 

»Verdammte Scheiße! Können Sie auf ihr Mistvieh bitte mal Acht geben?!«, brüllte ich. War zwar nicht nett, aber ehrlich – aber sie verstand mich nicht, und da zerrte die füllige buntgeblümte Dame ihren unerzogenen Pitbullwelpen zur Seite und verfluchte mich auf Arabisch.

 

Jeder Prophet hat bekanntlich seine Mission. Wenn es Jesus um vermeintliche Nächstenliebe ging, ging es dem heiligen Erzengel Alec (also mir) um absolute Ehrlichkeit. Und ich war bloß ehrlich. Einfach Alec!

 

»Außerdem sieht ihr scheiß Köter wirklich zum Kotzen aus! Ich glaub, der hat Würmer! Und Sie erst recht! Im Kopf!«, rief ich der ignoranten Trulla hinterher, aber sie verstand mich natürlich nicht.

 

Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss. Es war der 22.12.2023. Und so zog ich weiter durch die vereiste Stadt, meine Gedanken immer noch so offen und ehrlich wie nie zuvor.

 

Plötzlich fiel mir ein, dass ich meiner »Affäre«, einer deutlich älteren verheirateten Dame, von der ich bisher meine Gefühle verschwiegen hatte, auch die Wahrheit gestehen musste.

 

Ich stellte mir vor, wie ich vor ihrer Haustür stand, das Glitzern des Eherings an ihrem Finger, während ich mit meinem schneidenden Wortschwall ihre Welt erschütterte. Dann tat ich es. Ich nahm den nächsten Bus, fuhr zu ihrem Haus, klingelte, und sie öffnete die Tür, mit einem furchtbar süßen Lächeln im Gesicht, das bei meinen Worten schnell erstarren sollte.

 

»Guten Abend, meine Liebe! Ich muss dir etwas gestehen«, begann ich zu leicht stottrig zu faseln, und ihre Augen funkelten neugierig.

 

»Du weißt, dass ich immer ehrlich bin, aber ich glaube, es ist besser, wenn wir es hier beenden.«

 

»Was, wie bitte?«, fragte meine Angebetete in englischem Akzent.

 

»Nein, das war gelogen. Ich meine nur, wir sollten aufhören, unehrlich zueinander zu sein, hörst du? Ich liebe dich! Ich liebe dich so sehr! Das wollte ich dir sagen, denn ich kann es nicht länger verschweigen. Aber weißt du… es geht nicht um mich. Es geht um dich! Du solltest nicht länger in einem goldenen Käfig eingesperrt sein, du solltest frei sein, frei wie ein Vogel! Denn deine Nähe erfüllt mein Herz, auch wenn es kompliziert ist, hörst du?«

 

Ihre Reaktion war der wahre WTF-Moment des Tages.

 

Dass diese Geschichte halbfiktional ist, ist wiederum ziemlich unehrlich. Und dafür schäm‘ ich mich ein bisschen.

 

Nicht aber für meine Liebe. I’m so sorry! (Honestly!)


E N D E



© Alec Richard, 2024


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Patientin D.

1 Yorum


Yin UndYang
Yin UndYang
14 Oca 2024

Ich empfinde deinen Schriebstil als sehr ansprechend! ....war es übriges das erste Mal, dass ich etwas von dir gelesen habe..... auch finde ich, dass du wirklich Talent zum Schreiben hast. Am ehrlichsten war für mich dein Ende. "Dass diese Geschichte halbfiktional ist, ist wiederum ziemlich unehrlich. Und dafür schäm‘ ich mich ein bisschen. Nicht aber für meine Liebe. I’m so sorry! (Honestly!)" ....diese beiden Sätze fand ich phantastisch. Aber nun will ich noch ehrlicher sein und dich wissen lassen, dass ich dich im Rest deiner Geschichte nicht als ehrlich wahrgenommen habe..... vielmehr als durch und durch provokant, was aber wohl für dich den authentischen Alec dastellt.

Beğen
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