Illustration: Stefan Browatzki
SPOILER: Ich wurde vorletzte Nacht von einer Frau im Park belästigt. Ich hätte nie gedacht, dass ich als Kerl so etwas mal erleben würde, aber das Schicksal spielt nun mal nach seinen eigenen Regeln.
Da wollte ich ja eigentlich die Trinkerei aufgeben, hat es mich spätabends, (aus mir unerklärlichen Gründen) doch wieder zur Tankstelle verschlagen. Es war ein Mittwochabend. Es war vorgestern. Ja, gefühlt war es gerade eben, weil es mir noch immer in den Knochen hängt...
Am Anfang dachte ich noch: Ein Feierabend wie jeder andere. Und eigentlich hatte der Tag ja auch ganz gut begonnen - Ich hatte gearbeitet, eine mittelmäßig gute Performance hingelegt und durfte dann temporär frei sein.
Ein bisschen Bewegung und frische Luft täten jetzt gut, redete ich mir ins Gewissen. Denn trotz des Willens um meine versuchte Abstinenz, sollte ich mir zum Abend mal wieder ordentlich einen hinter die Birne kippen. Ich hatte ja schon „so lange“ nichts mehr gesoffen. Kurz gesagt: Ich war blöd. Und gierig nach Bier.
So heiß die Tage waren, so schlaflos waren auch die Nächte. Kaum hatte ich die Tanke erreicht, rieselten schon die ersten Schlückchen meine Kehle hinunter. „Ach, was soll’s?“, seufzte ich, umgeben von grellem Neonlicht. „Lauf doch noch ein bisschen durch die Gegend, warum nicht?“, sagte ich mir.
Planlos schlenderte ich durch die kleinen dunklen Gassen, bis ich irgendwann die Hauptverkehrsader erreichte. Sie pulsierte. Noch immer, und das selbst um 1.30 Uhr. Der Teer glühte und bald sollte ich mindestens genauso glühen.
Die Verrückten suchten den Weg zurück in ihre Löcher. „Löcher… ja, wollen wir das nicht alle? Ein Loch zum Verkriechen?" - Ich spürte das angenehme Gefühl, wie mich das Weg-Bier zunehmend benommen machte und schweben ließ. Im Limbo zwischen Autokarawanen überquerte ich die vierspurige Straße, huschte durch einen Busch und wandelte zu meinem nächstgeliebten Stadtpark, um dort genüsslich Bier zu trinken und meinen letzten Jointstummel zu verrauchen.
Ein himmlisches und vertrautes Örtchen, dieser große Garten. Nicht mehr als Wiesen, Bäume, Parkbänke, ein paar schnatternde Enten, quakende Frösche und ein kleiner halbverseuchter Teich. Das Vorzeige-Biotop der Stadt.
Der lauwarme Wind rauschte an mir vorbei und die Laternenlichter sowie das ruhige Gewässer mir gegenüber, bildeten eine ganz und gar harmonische Kulisse. Fast zu schön, um wahr zu sein. Nebenbei beobachte ich das Schimmern des Mondlichts, wie es auf der Wasseroberfläche immer wieder leicht aufblitzte. Malerischer hätte es nicht sein können.
Alles schön und gut, hätte man jetzt meinen können. Bis zu jenem Augenblick, der alles zum Einstürzen brachte. Gerade erst hatte ich meinen Johnny zu Ende geraucht und beschloss ein paar Meter weiter zu wandern, da traf ich in der Nähe des Ausgangs auf eine junge „Frau“, die auf einer Bank saß.
Nja… Sagen wir, es war ein Biest. Ein wuchtiges Gebilde von scheinbar menschlicher Masse. Man sah ihr die Dämlichkeit schon aus der Ferne an, obwohl es stockduster war, aber eigentlich machte ich mir nichts aus Körpern oder der Qualität von Geistern.
Da hockte sie so, bis sich die Balken ihrer Sitzfläche bogen, während sie Jacky-Cola aus der Dose verzehrte und Zigaretten rauchte. Wir wollen ja nicht unhöflich sein. Also schlenderte ich gemächlich an ihr vorbei, lächelte, hob das Bier und
prostete mit einem freundlich gemeintem „Cheers!“ zu – Dass ich gerade einen Dämon beschworen hatte, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
„Hey, einsamer Cowboy! Was geht?“, rief sie.
Ich blieb plötzlich stehen, ließ mich in ein oberflächliches Gespräch verwickeln, um mich kurze Zeit später neben ihr wieder zu finden. Ich mein, was soll schon passieren, wenn dich nachts im Park eine Frau anspricht?
Es folgte der übliche Smalltalk und eigentlich war am Anfang auch alles ganz nett. Nach kurzer Zeit bemerkte ich jedoch, wie intensiv sie mich ansah, dieses besessene Leuchten in ihren Augen, das sagte: „Ich will dich!“
Es dauerte nicht lange und sie fing an, mir mit lieben Worten zu schmeicheln.
„Oh, du hast ja so eine tolle Stimme! Warst du mal Sänger in einer Band?“
„Yep, in zwei sogar.“
„Ich wusste es! Und gut siehst Du auch aus!“
„Danke.“
„Und hast Du auch Tattoos?“
„Yep, zwei sogar.“
„Wow, kann ich die mal sehen?“, schon rückte ihre Masse näher und da packten ihre fleischigen Hände meinen Unterarm, als sei ich irgendein ein Produkt, auf dessen Verfallsdatum man blicken könne.
Alles halb so wild. Noch.
Doch ihre versoffene Neugier schien grenzenlos zu sein. Ihre durchlöchernden und wiederkehrenden Fragen nach meinem Beruf und meiner Schwanzlänge lenkten mich kurzzeitig davon ab, dass ihr wulstiges Gesicht völlig demoliert war.
„Sag mal, ist das eigentlich ein Sonnenbrand, das da auf deiner Nase?“, fragte ich.
„Ne, ich bin abgestürzt.“
„Ja, ich auch schon öfter…“
„Nein! Ich bin wirklich abgestürzt! Mit dem Helikopter!“
„Was?“
„Erinnerst du dich an den Helikopterabsturz vor ein paar Wochen, dahinten auf
dem Feld?“, lallte sie und zeigte mit ihrem Wurstfinger auf irgendeine Fläche.
„Aha, okay. Und was willst du mir jetzt sagen?“
„Der Hubschrauber ging durch ein Portal. Ich komme aus einer anderen Zeit. Ich weiß, wer Du bist, Alec… Es war vorbestimmt, dass wir uns hier und heute begegnen werden!“
„Okaaaay…“, entgegnete ich trocken. Ich schluckte und hörte innerlich das Geräusch einer gerissenen Schallplatte.
Was machst du, wenn Du einer psychisch gestörten Person begegnest? Sie sind wie Wespen, bloß nicht zu viel rumfuchteln, sonst stechen sie.
„Verstehst Du, Alec? Ich bin hier. Für dich…“, säuselte sie.
Ich verstummte.
„Warum so still? Komm, setz dich noch ein bisschen näher zu mir!“
Spätestens dann, als sie ihren Arm um mich legte, wurde mir schnell klar, dass ich aus dieser miesen Nummer nicht mehr so leicht rauskommen würde.
Und jetzt hing ich da, wie versteinert auf einer Parkbank, mitten in der Nacht und mit dem Gewicht einer Anakonda um meinen Hals herum.
Angsterfüllt blickte ich sie an und beobachte, wie die Augenlider ihren psychotischen Blick verdunkelten, ihr riesiger Speckschädel sich in Zeitlupe meinem Gesicht näherte, sie ihre Fettlippen zusammen presste, sie spitzte und im Begriff war, mit meinen Lippen augenblicklich zu kollidieren.
Es klingelten die Alarmglocken - ALARMSTUFE ROT! In letzter Sekunde sammelte ich all meine Energie, riss mich los, sprang auf, schnappte nach Luft und hechelte: „OKAY, HÖR ZU…! ICH WILL NICHTS VON DIR! JA? ICH WOLLTE MICH EINFACH NUR NETT UNTERHALTEN!“ Stille.
Nur das Zirpen der Grillen war noch zu hören. Man konnte zusehen, wie sich ihr gerade noch schwärmerischer Blick in den einer Medusa verwandelte.
Sekunden vergingen. Dann legte sich ihre Stimme: „Das ist nicht DEINE Entscheidung!“, murmelte sie, den Fokus noch immer auf mich gerichtet.
„Was?“, fragte ich irritiert.
„ES IST NICHT DEINE ENTSCHEIDUNG!“, fing sie plötzlich an zu
brüllen und schon bemerkte ich, wie sich ihre kolossale Masse erhob und auf mich zuging.
Jetzt bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun. Zwei Köpfe größer und mindestens drei Mal so breit, stampfte dieser wuchtige Oger näher und näher. Bis sie anfing, mich zu mit ihren Pranken zu schubsen.
„WAS DENKST DU EIGENTLICH, WER DU BIST? HÄ? DU WIDERLICHER MÖCHTEGERN?“, brüllte sie in den Nachthimmel. Ich hatte tatsächlich ein Mammut zum Leben erweckt.
„Okay, Prinzessin-Lillyfee… Das wird mir jetzt echt zu bunt! Ich mach mich mal aus dem Staub, okay?“, stammelte ich und bemerkte, dass mein Rucksack noch auf der Bank lag und sie mir, wie ein Relaxo, den Weg versperrte.
„DU GEHST JETZT NICHT!“, schrie sie mit vibrierendem Doppelkinn.
„DOCH! Ich gehe!“, rief ich zurück und versuchte einen Weg um diese Fettgestalt zu finden.
„NEIN! DU GEHST NICHT! UND JETZT GIB MIR DEIN BIER!“
„Was? Nein, man! Kauf dir dein eigenes!“ – Kaum konnte ich dies aussprechen, riss sie mir schon meine letzte Dose Bier aus den Händen und feuerte sie mit voller Wucht gegen meinen Brustkorb.
„Okay, Madame… jetzt ist Schluss mit lustig!“, zischte ich entzürnt. Bei Bier hört der Spaß definitiv auf! Adrenalin schoss mir durch die Venen. Immer wieder ging sie mich an und versuchte mich wegzuschubsen. Immer weiter Richtung Vorzeige-Biotop.
Verzweifelt wehrte ich ihre Handgreiflichkeiten ab und schlug Haken wie ein Hase, vollführte eine Hechtrolle und bahnte mir so den Weg zu meinem Rucksack, nach dem ich schnell schnappte und eilig das Weite suchte.
Doch damit nicht genug.
„SO LEICHT ENTWISCHST DU MIR NICHT!“, brüllte das Mammut und begann mir, (trotz seiner Trägheit) stampfend zu folgen. So muss sich „Indiana Jones“ gefühlt haben, als er vor dieser riesigen Kugel floh, dachte ich. Ihre Fettmasse waberte und rollte weiter und weiter auf mich zu.
Doch was wäre ein guter Cowboy ohne seinen Revolver? Aus meiner Tasche fischte ich hastig eine leere Bierflasche raus, die ich am Hals packte und deren Boden ich demonstrativ an einem Mülleimer zerschellen ließ.
Mit erhobener, splittriger Waffe blickte ich dem Monstrum tief in die Augen und schrie inbrünstig: „EINEN SCHRITT WEITER UND DU HAST NOCH GANZ ANDERE PROBLEME ALS EINE GEBROCHENE NASE! HÖRST DU!?“
Das war meine Rettung in letzter Sekunde. Das Mammut blieb wie vereist stehen und ich konnte endlich meine Beine unter den Arm nehmen und flüchten.
Ich rannte um mein Leben, als gäbe es keinen Morgen. Es war jetzt 2.02 Uhr, sagte mein Handy und nach diesem Schock brauchte ich erstmal einen neuen Drink.
An der ursprünglichen Tankstelle angekommen, begrüßte mich die Kassiererin erneut und fragte: „Na, noch mehr Bier? Dir scheint’s ja echt gut zu gehen!“
„Nein, das tut es nicht. Aber ich weiß jetzt, wie Sie sich als Frau manchmal fühlen müssen…“
E N D E
© Alec Richard, 2022
Herzchen dagelassen, wie gewünscht. Sina